Effloreszenzenlehre


"Effloreszenzen"

Die Haut gilt lange Zeit nicht als eigenständiges Organ. Vielmehr sieht die Medizin in der Körperhülle einen Ort, an dem sich innere Krankheiten zu erkennen geben. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ändert sich das Verständnis allmählich. Die Haut rückt als umschriebenes Körperareal in den Blickpunkt des medizinischen Interesses. Der Anstoß kommt von außen. Der Schwedische Arzt Carl von Linné macht es vor, wie man einen Bereich der Natur die Botanik durch ein sinnvoll erdachtes Klassifikationsmodell systematisch erschließen und für die zeitgemäße Forschung aufbereiten kann. Was für den Botaniker die Sexualmerkmale einer Pflanze sind, werden für die ersten dermatologischen Spezialisten die ”Herausblühungen” der Haut. Bis zum Ende des Jahrhunderts verständigt man sich in ihren Kreisen auf die Grundtypen der Hautkrankheitszeichen. Auf der Basis der so entwickelten ”Effloreszenzenlehre” werden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die wichtigsten Hautkrankheiten voneinander abgegrenzt. Ferdinand von Hebra kann zur Jahrhundertmitte bereits auf ein fest umschriebenes Spektrum dermatologischer Krankheitsbilder aufbauen. Seiner Generation bleibt es vorbehalten, das Fach in die institutionelle Selbständigkeit zu führen. Neben der Einrichtung erster Lehrstühle und universitärer Spezialkliniken, der Gründung von Fachgesellschaften sowie der Abhaltung nationaler und internationaler Fachkongresse betont die junge Disziplin durch prachtvoll ausgestattete Lehr und Atlaswerke ihren Anspruch auf fachliche Eigenständigkeit. Von Hebras ‘Atlas der Hautkrankheiten’ unterstreicht mit allem Nachdruck das Selbstbewußtsein der Dermatologie. Angesteckt vom Optimismus einer sich als reine Naturwissenschaft verstehenden Medizin, glaubt Hebra, mit seinen ”objectiven Darstellungen” etwas zeitlos Gültiges zu schaffen, das sich keiner ”vergänglichen” Systematik zu unterwerfen braucht.

(Abb. 4: Lupus erythematosus. Farblithographie von A. Elfinger (vgl. Kat-Nr. 35)

”Hautblüthen” oder die Lehre von den Efflorezenzen

Von Hebra beschreibt in seinem Lehrbuch ”Acute Exantheme und Hautkrankheiten” (1780) die Effloreszenzen oder Hautblüten als eine ”Anzahl von Krankheitssymptomen der allgemeinen Decke ... welche sich durch ihre bestimmte Form, ihren Sitz, ihren Verlauf, so wie durch die Regelmässigkeit ihrer Entwicklung und Rückbildung von anderen pathologischen Erscheinungen ... genau unterscheiden”. Primäre Effloreszenzen sind Symptome die unmittelbar durch die Krankheit hervorgerufen werden. Davon grenzt er sekundäre Effloreszenzen ab, die durch Weiterentwicklung oder zusätzliche Schädigung bereits vorhandener Erscheinugen entstehen. So kommt von Hebra zu folgender Einteilung der krankhaften Hautveränderungen:

Primäre Effloreszenzen

Macula Fleck: jede Veränderung der normalen Hautfarbe, ohne Konsistenzveränderung und Niveauunterschied. Die Größe kann von punktförmig bis handtellergroß variieren, ebenso die Farbe von weißgrau bis braunschwarz, z. B. flaches Muttermal.

Papula Knötchen: ”jede Krankhafte, hirsekorn bis linsengroße, feste Emporragung über das normale Hautniveau, welche im Inneren kein, mit freiem Auge sichtbares Fluiduum beherbergt.” Die Farbe der Knötchen unterscheidet sich von der übrigen Haut. Es können alle Nuancen von Rot auftreten, aber auch bläuliche, braune und schwarze Veränderungen vorkommen.

Tuberculum Knoten: entspricht dem Knötchen, es ist jedoch deutlich größer.

Quaddel Nessel: solide über das Hautniveau erhabene Effloreszenz, die durch eine umschriebene Wasseransammlung in der Haut (Ödem) entsteht. Die Farbe ist gewöhnlich rot bis blaßrot. Die Größe übersteigt meist nicht die Fläche eines Daumennagels, z. B. Brennesselreaktion.

Vesicula Bläschen: meist durch wasserhelle oder milchige Flüssigkeit hervorgerufene Emporhebung der Oberhaut (Epidermis), deren Größe einem Hirsekorn oder Stecknadelkopf entspricht. Mehrere Bläschen sind häufig in Gruppen angeordnet. Ihre Farbe hängt von der Färbung des Inhaltes ab, z. B. Allergien, Herpes simplex.

Bulla Blase: unterscheidet sich vom Bläschen hauptsächlich durch die Größe. Sie erhebt sich deutlich über das Hautniveau, z. B. Verbrennugen.

Pustel: ”Vesicula, quae pus fert est pustula”. Der eitrige gelbe Inhalt macht den Unterschied zwischen Bläschen und Pustel aus. Sie platzt im Verlauf sehr leicht und die eitrige Abscheidung (Sekret) verkrustet, z. B. Akne.

Sekundäre Effloreszenzen

Schuppen: ”kleinere oder größere Plättchen abgestorbener Oberhaut, die in Folge krankhafter Affection der allgemeinen Decke von ihrem Muterboden theilweise oder gänzlich losgelöst und ausgeschieden worden sind”. Am häufigsten findet man diese Erscheinung bei trockener Haut und Verhornungsstörungen.

Krusten: Produkt, das durch Vertrocknung von serösen Flüssigkeiten, Blut oder Eiter auf der Oberfläche von Hautdefekten entsteht. Die Größe und Dicke der Kruste ist abhängig von der Fläche der Hautläsion und der Menge der ausgetretenen Flüssigkeit.

Erosion: Oberhautabschürfung. die keinen tiefen Gewebeschaden aufweist und ohne Narbenbildung abheilt.

Hautulcus: Meist durch vorangegangene Erkrankungen entstandener Substanzdefekt, der die Oberhaut (Epidermis) und die Unterhaut (Dermis) betrifft. Der Ersatz des zerstörten Gewebes erfolgt nur sehr langsam oder gar nicht mehr. Heute findet man diese Erscheinung häufig sehr eindrucksvoll beim ”offenen Bein” (Ulcus cruris).


Die Effloreszenzenlehre, wie sie im 19. Jahrhundert bei von Hebra beschrieben wird, hat auch heute noch ihre volle Gültigkeit. In der Dermatologie ist die Beschreibung der Hauterscheinungen ein wichtiges Mittel zur Diagnosefindung. Die Effloreszenzenlehre ist heute wie damals die Grundlage für die Einteilung der Hautkrankheiten.